Alle Anteile wahrnehmen: So führt man sein «inneres Team»
Veröffentlicht: Montag, 01.09.2025 10:50

Innere Konflikte lösen
Baierbrunn (dpa/tmn) - Vielleicht haben Sie schon einmal vom «inneren Kind» gehört, einer Metapher für bestimmte Gefühls- und Verhaltensmuster, die wir aufgrund von Erfahrungen in der Kindheit entwickelt haben und die sich auch im Erwachsenenalter immer wieder abspielen.
Der Hamburger Psychotherapeutin Dagmar Kumbier zufolge tragen wir nicht nur ein inneres Kind mit seinen Bedürfnissen in uns, sondern eine ganze Horde von mehr oder weniger erwachsenen Stimmen: unser «inneres Team».
Wer oder was ist das genau? Das «innere Team» ist ein Persönlichkeitsmodell des Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun, das die verschiedenen inneren Anteile oder «Stimmen» eines Menschen als Mitglieder eines Teams betrachtet, die sich in einer bestimmten Situation oder zu einem Thema zu Wort melden.
Im Idealfall arbeitet ein Team konstruktiv zusammen, in der Realität kann es aber zu Reibereien kommen. «Kein Team ist von vornherein ein Herz und eine Seele», so Kumbier in der aktuellen «Apotheken Umschau» (Ausgabe A 9/2025). «Da geht immer was durcheinander.»
Die Herausforderung besteht darin, «die geeigneten inneren Mitarbeiter zu einem gegebenen Problem zu identifizieren, zu Wort kommen zu lassen und in einer "inneren Ratsversammlung" zur Zusammenarbeit zu bewegen», erklärt Schulz von Thun auf seiner Webseite.
Im Team gibt es oft Konflikte
Wieso ist das so herausfordernd? Manche inneren Anteile kommen nicht gut miteinander aus, manche verurteilen wir vielleicht selbst - und andere sind so still, dass wir sie nicht einmal wahrnehmen und vernünftig integrieren können, erklärt Kumbier.
Die verschiedenen Anteile stehen nicht nur für unsere unterschiedlichen Bedürfnisse und Wesenszüge. Und sie alle verfolgen bestimmte Aufgaben - auch die, die uns auf den ersten Blick sehr unsympathisch sind, und diejenigen, die wir ganz zum Verstummen gebracht haben. Etwa den ängstlichen Anteil, weil wir uns schon früh antrainiert haben, keine Schwäche zu zeigen.
Das eigene Teamoberhaupt: zielorientiert und ausgleichend
Wie kriegen wir das nicht nur unter einen Hut, sondern nutzen es im Alltag? Bevor wir das innere Team nutzen können, «müssen wir oft den zerstrittenen Haufen bewältigen», erklärt Kumbier. Und: «Ziel ist immer, eine Entscheidung treffen zu können.» Also: Wie will ich handeln? Hierfür braucht es ein Teamoberhaupt - und das ist man selbst.
Als gutes Teamoberhaupt sollte man erst einmal alle inneren Anteile und die dahinter liegenden Bedürfnisse wahrnehmen, bevor man versucht, sie von einer gemeinsamen Linie zu überzeugen.
Dabei kann auch helfen, sie aufzuschreiben. Schulz von Thun rät: Hören Sie auf die erste innere Stimme, die Sie zum Thema oder zur Situation spüren. Man kann sie sich auch als Person oder Figur vorstellen und ihr einen Namen geben. Wichtig dabei: ein wertschätzender und verständnisvoller Umgang mit der Person - denn sie hat gute Gründe. Was will sie? Ginge es nach ihr: Wie würde sie handeln? Das kann man etwa in eine Sprechblase schreiben.
Laut Psychotherapeutin Kumbier ist dieser erste Schritt - sich als Oberhaupt alle inneren Anteile liebe- und verständnisvoll anzuschauen - gleichzeitig ein ganz großer, weil er den Weg freimacht für eine gute innere Teamarbeit. Sie vergleicht das Teamoberhaupt mit einem perfekten Elternteil: kümmernd, unterstützend, auch mal begrenzend.
Vielleicht ist da ein sehr verletzter Anteil, der am liebsten wütend schreien möchte - und einer konstruktiven Handlung im Weg steht. Dann hilft es, als Oberhaupt diesem Anteil zunächst wohlwollend Aufmerksamkeit zu schenken, ihn zu trösten, so Dagmar Kumbier - denn wer sich gesehen und verstanden fühlt, stimmt einer Team-Entscheidung schon viel eher zu.